Grundmotiv
Nahezu
überall auf der Welt gibt es heute Waldorfkindergärten (ca. 1.500,
davon ein Drittel in Deutschland); ihre Erscheinungsformen sind vielfältig:
Als "klassische" Kindergärten; als Tagesstätten; als Mutter-Kind- und
Spielgruppen; als Krabbelgruppen; als Einrichtungen, die das Kind im Schulalter
integrieren; als heil- und sonderpädagogische Einrichtungen; als
Einrichtungen, in denen Kinder mit unterschiedlichen Entwicklungsschicksalen
zusammenleben.
Wenn auch die meisten Waldorfkindergärten rechtlich selbständige Organisationsformen besitzen, besteht auch hier eine differenzierte Vielfalt: so gibt es Kindergärten in staatlicher oder städtischer Trägerschaft oder in der rechtlich - sozialen Zusammenarbeit mit Waldorfschulen. Was verbindet alle Menschen, die sich in diesen Einrichtungen um die Kinder bemühen? Was ist dasjenige, was alle diese verschiedenen Einrichtungen zu Waldorfkindergärten macht?
Im Kern ist es die Bemühung um die Offenheit, die jeweilig erlebte Situation
des Kindes und der Kinder zum immer wieder neu entscheidenden Element der
Gestaltung des pädagogischen Lebens werden zu lassen; alle Forschungen
über Entwicklungsgesetze und Bedingungen des menschlichen Werdens haben
insofern Gültigkeit und wirkende Bedeutung, als sie in der realen Begegnung
zwischen den Erzieherinnen und Erziehern und den Kindern immer wieder "neu
geboren" werden. Damit wird die stets neue Begegnung zwischen den Menschen der
wichtigste Moment des Erziehungsgeschehens.
Es ist das besondere Merkmal der Anthropologie und Psychologie der Waldorfpädagogik (die "Menschenkunde" Rudolf Steiners), dass der verantwortliche und verbindlich handelnde Pädagoge sie immer wieder neu hervorbringen muss, will sie verwirklicht werden. Forschung und Konzeptionierung der eigenen Arbeit sind eins; beide berühren den Pädagogen unmittelbar selbst; Erziehung wird so zur schicksalsgestaltenden Partnerschaft, und somit sind die eigene Veränderungsbereitschaft und Entwicklungsoffenheit wesentliche Merkmale des Prozesses.
In dem Maße, in dem sich der Pädagoge immer wieder von Vorurteilen über das Sein und Werden des Menschen frei machen kann und offen der neuen Begegnung entgegengeht, in dem Maße verwirklicht sich erst die erzieherische Beziehung im Sinne der Waldorfpädagogik. Da dieser Vorgang den Erwachsenen wie das Kind unmittelbar berührt und betrifft, ist das alle Praxis der weltweiten Waldorfkinder-gartenarbeit verbindende Element die stete Bereitschaft zur Selbsterziehung und eigenen Entwicklung des Erwachsenen in der Begegnung mit den Kindern.
In einer Zeit, in der Kinderschicksale durch zunehmende Auffälligkeiten sich in das Bewusstsein der Erwachsenenwelt drängen, erfährt diese von Rudolf Steiner als Erziehergesinnung beschriebene Haltung eine noch viel deutlichere Dimension.